Im Interview mit Dr.-Ing. Daniel Beer

Seinen ersten Lautsprecher baute Daniel Beer im Alter von 12 Jahren – aus Pappkarton. Heute ist die Forschung an Lautsprechern sein Beruf. Was mit einem Praktikum am Fraunhofer IDMT vor mehr als 16 Jahren begann, mündete in seine heutige Position als Leiter der Gruppe »Electroacoustics«, deren Thema die Entwicklung neuer Lautsprechertechnologien ist. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen anderer Fraunhofer-Institute ist Daniel Beer und seinem Team nun eine Entwicklung gelungen, die man als Revolution auf dem Gebiet der Lautsprechertechnologie bezeichnen kann: ein mikromechanischer Lautsprecher, winzig klein, aber den klassischen Kopfhörerlautsprechern klanglich in nichts nachstehend. Im Gespräch mit Dr.-Ing. Daniel Beer über den Chip im Ohr.

Im Interview mit Dr.-Ing. Daniel Beer
© Fraunhofer IDMT
Dr.-Ing Daniel Beer,Gruppenleiter »Electroacoustics« am Fraunhofer IDMT

Herr Dr. Beer, die Audiomagazine sprechen von der wichtigsten Weiterentwicklung im Bereich der Miniaturlautsprechertechnik seit vielen Jahren. Wie ist es möglich, einen Lautsprecher zu entwickeln, der so winzig ist wie ein Mikrochip?

Wir machen uns hier die Vorteile der MEMS-Technologie zu nutze. MEMS steht für mikroelektromechanische Systeme und verbindet klassische Halbleitertechnik mit Miniaturmechanik im Mikrometerbereich. Damit können Lautsprecher zukünftig so einfach wie Computerchips hergestellt werden.

Was war aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung dabei?

Wir sind mit mehreren Fraunhofer-Instituten dabei, verschiedene MEMS-Lautsprecher zu entwickeln, wobei die Aufgabe des Fraunhofer IDMT vor allem die Ansteuerung ist. Wir haben sehr viel Erfahrung darin, Lautsprechersysteme zu entwickeln und zu charakterisieren. Im Bereich der MEMS-Technologie haben wir uns auf wissenschaftliches Neuland begeben. Die MEMS-Technologie ermöglicht eine sehr genaue Fertigung von sehr kleinen Lautsprechern. Aufgrund der geringen Baugröße muss ein solcher Lautsprecher bis an seine Grenzen ausgereizt werden. Mit einer konventionellen Lautsprecheransteuerung ist das nicht möglich. Die größte Herausforderung war es daher, eine intelligente Signalansteuerung zu entwickeln, sodass der Lautsprecher nicht kaputt geht und ein hervorragendes akustisches Verhalten hat. 

Was macht die Intelligenz der Signalansteuerung aus?

Weil das System so klein ist, ist es noch weniger in der Lage als ein größeres System, Schall zu erzeugen. Ohne intelligente Signalansteuerung variiert die Auslenkung der Membran zum Teil stark mit der Frequenz. Dadurch werden nicht alle Töne gleich laut wiedergegeben. Wir haben mit starken Resonanzen zu tun, sodass bestimmte Bereiche sehr viel lauter und andere so gut wie gar nicht wiedergeben werden. Es braucht also eine Ansteuerung, die besonders laute Bereiche herunterzieht und die anderen anhebt. Wir decken den gesamten Frequenzbereich ab und reizen das System für alle Frequenzen so weit aus, dass es gerade nicht kaputt geht und auch gut klingt, aber trotzdem noch laut genug ist. Dazu kommt, dass die lauten Resonanzbereiche auch noch veränderlich sind, d. h. je nach Betriebszustand oder klimatischem Zustand des Systems verschiebt sich das sogar. Ich kann also nicht für jeden Chip die gleiche Ansteuerung nutzen. Also haben wir ein selbstlernendes System entwickelt, das automatisch diese Resonanzstellen detektiert und kompensiert. Dadurch wird das Ganze erst als Massenproduktion ermöglicht.

Massenproduktion ist ein gutes Stichwort. Wie muss ich mir die Produktion eines MEMS-Lautsprechers vorstellen?

Bei der Fertigung der MEMS-Lautsprecher werden Verfahren aus der Halbleiterindustrie genutzt, wie sie auch bei der Chipherstellung zu finden sind. Die Lautsprecherstruktur wird z. B. durch Ätz- oder Aufdampfvorgänge Schicht für Schicht aus Halbleitermaterialien aufgebaut. Es ist also ein kompletter, kontinuierlicher Prozess, der viel feiner abgestimmt ist und sogar im Submikrometerbereich wesentlich genauer arbeitet als es momentan in der klassischen Lautsprecherfertigung der Fall ist. Dort werden die einzelnen Teile, wie Membran und Membranantrieb, in separaten Arbeitsschritten gefertigt und in halb- oder vollautomatischer Fertigung zusammengefügt.

»Mit MEMS-Lautsprechern wird ein Paradigmenwechsel in der Produktion eingeläutet.«


Das hört sich nach einem großen Schritt an! Wann wird der erste MEMS-Lautsprecher auf dem Markt sein?

Bis der erste MEMS-Lautsprecher in großer Masse auf dem Markt ist, werden noch ca. zwei Jahre vergehen. Es braucht eine sehr lange Anpassung, bis der Fertigungsprozess am Ende so hochgenau im Submikrometerbereich ist, auch für die Elektronik, also die Verbindung der Ansteuerungselektronik und des MEMS-Lautsprecherchips in einer kompakten Baugruppe. 

Welche Entwicklungen erwarten uns noch?

Dank der MEMS-Technologie können wir auf viel kleinerem Raum viel kleinere Bauteile miteinander kombinieren und damit in ein System integrieren. Das heißt, der Platz kann viel effektiver genutzt werden. Kopfhörer und Hörgeräte werden mit zusätzlichen Funktionen ausgerüstet, z. B. aus dem Handy, dem Smart Speaker oder auch dem Navigationssystem. Die Produktgruppe der Hearables greift diese Idee des multifunktionalen Kopfhörers bereits heute schon auf. Und der MEMS-Lautsprecher ist ein wesentlicher Meilenstein auf dem Weg dahin.

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